Rückblick auf Fokussynode
«Wir alle sind politische Wesen und fällen jeden Tag politische Entscheidungen»
In einem zweiten
Teil folgte das Programm zu Kirche und Politik. Mittels Referaten, Podien,
Gruppenarbeiten und im Plenum gingen die Synodalen den Fragen nach, ob Kirche zu
aktuellen politischen Fragen Stellung beziehen soll oder nicht und was die
Erwartungen von Gesellschaft und politischen Organisationen an die Kirche sind.
Sie befassten sich ebenfalls mit Formulierungen des kirchlichen Auftrags in
Kirchenverfassung und Kirchenordnung. Es ging sowohl um grundsätzliche Fragen
zum Verhältnis von Kirche, Politik und Gesellschaft, aber auch um die
Begründung und Berechtigung von Stellungnahmen zu politischen Einzelfragen.
Die Referentin Evelyn Borer, Synodepräsidentin der EKS, und die Referenten Pfr. Lukas Kundert, Kirchenratspräsident ERK BS, Pfr. Christoph Herrmann, Kirchenratspräsident ERK BL, und Oliver Ehinger, Kirchenpfleger in Arlesheim, gewährten spannende Einblicke, persönliche Meinungen, Argumente und Gedankenanstösse zum Thema und zu ihrer (politischen) Arbeit. Die Diskussionen in den Pausen und beim Apéro am Ende zeigten, das Thema ist und bleibt aktuell.
Ausführlicher Bericht zur Fokussynode «Kirche und Politik»
Die Kirche steht vor der
Herausforderung, ob sie zu aktuellen politischen Fragen (Antisemitismus,
Nahostkonflikt, Ukraine, Ehe für alle, Migrationspolitik, Klima etc.) Stellung
beziehen soll oder nicht. Was sind die Erwartungen von Gesellschaft und politischen
Organisationen an die Kirche? Bei der Themenfindung stand die Diskussion um Stellungnahmen zur
„Konzernverantwortungsinitiative“ im Hintergrund. Aber auch Formulierungen des
kirchlichen Auftrages in Kirchenverfassung und Kirchenordnung legen eine vertiefte
Befassung mit dem Thema nahe. Da bei sollen auf der einen Seite grundsätzliche
Fragen zum Verhältnis von Kirche und Politik/Gesellschaft (Strukturen,
Formulierung und Verständnis des Auftrags von Kirche) Raum finden. Auf der
anderen Seite sollen die Begründung und Berechtigung von Stellungnahmen zu
politischen Einzelfragen Raum finden.
Zu Beginn nehmen die Teilnehmenden in einem 1-2-3-Spiel Stellung zu der Frage, ob die Kirche zu politischen Fragen Stellung beziehen soll. Eine Mehrheit ist dafür oder eher dafür. In einem ersten Panel begegnen sich Oliver Ehinger, Kirchenpfleger Arlesheim, und Pfr. Lukas Kundert, Kirchenratspräsident BS, unter Leitung von Pfr. Ingo Koch. In seinem Einführungsreferat bezieht sich Ehinger auf die Kirchenverfassung BL, die keine Stellungsnahmen vorsieht. Auslöser für die heutige Diskussion war die von den Ständen abgelehnte Konzernverantwortungsinitiative (KVI), zu der die Kirche klar positiv Stellung nahm. Die darin geforderten Regeln sind eine Selbstverständlichkeit, die auf europäischer Ebene Gesetz sind. Störend ist die Umkehr der Beweislast: nicht der Staat muss den Unternehmen Fehlverhalten nachweisen, sondern die Unternehmen ihr Wohlverhalten. Das geht zu weit. Auch gegen die Unternehmenssteuerreform hat die Kirche Stimmung gemacht. Das hat nichts mit kirchlichen Anliegen zu tun. Praktisch alle politischen Themen haben zwei Seiten, es ist keine klare Sache. Deshalb hat die KG Arlesheim eine Podiumsdiskussion zur KVI organisiert, statt eine einseitige Stellung zu beziehen. Dieses differenzierte Vorgehen war ein Erfolg. Es gab keine Kirchenaustritte.
Kundert stellt fest, dass die Kirche permanent politisch unterwegs ist. Dass Schweizerdeutsch die Arbeitssprache ist, heisst dass man keine Migrant*innen will. Ein freier Beitritt und Austritt bilden Voraussetzung für staatliche Anerkennung. Das schliesst z.B. die Muslim*innen aus. Ziel ist es, die Kirche schwach zu machen, besonders die Zentrale. Bischöfe haben kein Geld, sondern die Kirchenmitglieder. Verändern Predigten die politische Landschaft? Ja. Das geplante Demenzdorf ist eminent politisch. Mit der Finanzierung nehmen die Kirchen klar Stellung. Wer spricht? Je weniger Abstimmungsparolen die Kirche fasst, desto mehr Aufmerksamkeit hat sie. Bei Anliegen, welche die Kirche direkt betreffen, soll sie Stellung nehmen. Wo der politische Diskurs funktioniert, braucht es die Kirche nicht. Dabei ist die Kirche politisch enorm aussagekräftig, z.B. durch Preisverleihungen. Oliver Ehinger findet das einen interessanten Punkt: Wo ist die Schwelle? Kirchen in unfreien Ländern müssen mehr aktiv sein, sie tragen eine andere Verantwortung. Laut Lukas Kundert durfte die Kirche im Fall der KVI nicht zwingend Stellung beziehen. Anders sieht es z.B. beim Kostendruck im Gesundheitswesen und in der Altersvorsorge aus. Auch der Schutz des liberalen Islams ist ein Thema für einen Stellungsbezug. So hat er Stellung zugunsten des damaligen Regierungsratskandidaten BS Mustafa Atici genommen, der ein Alevit ist. Aber die Kirche soll sich hüten, zu viel Stellung zu Aktualitäten zu nehmen.
In der
nachfolgenden Gruppenarbeit nach Dekanaten ging es um drei Fragen:
- Soll die Kirche in politischen Fragen in der Öffentlichkeit Stellung beziehen? (z.B. zu folgenden Themen: Konzernverantwortung, Klima, Nahostkonflikt, Ukrainekrieg, Migration, Antisemitismus, Rechtsextreme, Abtreibung, Drogen usw.). Warum?
- Wie, resp. mit welchen Mitteln soll die Kirche Stellung beziehen zu politischen Fragen? (Im Gottesdienst, in Statements der kirchlichen Behörden, in Stellungnahmen in Presse und Social Media usw.)
- Welches Risiko geht die Kirche ein, wenn sie zu politischen Fragen Stellung bezieht / nicht Stellung bezieht?
Die Teilnehmenden sind sich einig, dass die Kirche zu politischen Fragen Stellung nehmen sollte, aber gezielt und fundiert, nicht beliebig, parteiisch und zu oft. Es zählen Taten statt Worte. Die Kirche soll keine Parteipolitik betreiben, sondern sich auf die Bibel stützen – ohne mit Bibelversen zu argumentieren. Wichtig ist, dass sich die Gläubigen in politischen Parteien engagieren, nicht nur in der EVP. Die Kirchgemeinden können kontradiktorische Podiumsdiskussionen zur Meinungsbildung organisieren so wie die KG Arlesheim. Austritte erfolgen meist aus anderen Gründen – und nicht nur als Protest wegen Stellungsnahmen der Kirche.
Auf dem zweiten Podium wirken Evelyn Borer, Präsidentin der Synode der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz (EKS), und Pfr. Christoph Herrmann, Kirchenratspräsident BL, mit. Borer stellt die Frage in den Raum: Die Kirche der Zukunft liegt in der Zukunft der Kirche? Zuerst sollten wir fragen, was Politik eigentlich bedeutet. Und welche Kirche ist gemeint? Die Referentin bezieht sich auf die gesetzlichen Grundlagen. So heisst es: «Die EKS verkündet das Evangelium von Jesus Christus in Wort und Tat.» Interessant ist z.B., dass das Asylgesetz Seelsorge vorschreibt: Messen für Muslim*innen werden durch den Bund subventioniert, christliche Messen nicht. Die EKS fragt sich jeweils, ist ein sich Aeussern wichtig, richtig und zielführend. Dabei spielen auch vorhandene Ressourcen und Dossierkenntnis eine Rolle.
Herrmann betrachtet die Frage, ob die Kirche Stellung beziehen soll, als schwierig – vergleichbar mit einer Seife. Politik ist Staatskunde. Mischt sich die Kirche in die Politik ein oder mischt sich die Politik in die Kirche ein, etwa wenn sie Stellungsnahmen verbietet. Die reformierte Kirche BL hat etwa 75'000 Mitglieder. Eine Stellungsnahme ist nur als Gremium möglich – Kirchenrat, Pfarrkonvent oder Synode – aber nie als Reformierte Kirche BL. Im Zentrum des Wirkens steht immer der Mensch (ecce homo). Der Kirchenrat gibt wenig politische Stellungsnahmen ab. RR Anton Lauber hat einmal die Rolle der Kirche in der Gesellschaft wie folgt umschrieben: Wertevermittlung, Integrationsarbeit, kritisches Gegenüber zu Regierung und Staat. Die Kirche ist nicht systemrelevant, sondern existenzrelevant. Auf dem Podium stellt der Moderator Marc Siegrist die Frage, kann Kirche nicht politisch sein? Evelyn Borer verneint: Kirche arbeitet immer in einem politischen Kontext. Christoph Herrmann verneint ebenfalls. Die Anforderung ist, dass allfällige Stellungsnahmen in unserer Sprache, einfach und verständlich erfolgen. Soll Kirche sich in die Tagespolitik einmischen? Für Borer ist die Unterscheidung schwierig. Für Herrmann ist das Beispiel Demenzdorf, der Respekt der Würde stark politisch, ein Geschäft der Kirchen.
Zum Abschluss verdankt Stephan Kux dem Synodeschreiber Karl Bolli sein seit 2016 erfolgtes Engagement in der Kommission für Fokussynode und übergibt die Abschiedsgeschenke. Pfr. Ingo Koch erteilt den Segen. Es folgt der reiche Apéro der Baselbieter Bäuerinnen und die angeregten Gespräche nach und über die gehaltvolle, aber auch intensive Fokussynode 2024.
Stephan Kux, Präsident Kommission für Fokussynoden