Dodekade
Im Jahr 2017 jährte sich Luthers Thesenanschlag, der als Anfang der Reformation gilt, zum fünfhundertsten Mal. In Basel/Baselland kam die Reformation offiziell erst 1529 zum Durchbruch. Bereits in den Jahren davor beeinflussten die Reformatoren der ersten Stunde und ihre Ideen die Gesellschaft. Die reformierte Kirche Baselland gedenkt dieser Epoche bis ins Jahr 2029 mit zwölf auf die Reformationszeit bezogenen Themenjahren. In dieser sogenannten Jubiläum-Dodekade*, die bis ins Jahr 2029 dauert, wird an regionale und lokale historische Ereignisse vor 500 Jahren angeknüpft, doch nehmen die Themenjahre vor allem Impulse der Reformation auf, welche bis in unsere Zeit reichen und für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig sind.
Die Themenjahre dauern jeweils vom Reformationssonntag, dem ersten Sonntag im November, des vorangehenden Jahres bis zum jeweiligen des Themenjahres.
1517 bis 1529
1517 bis 1529, 12 Jahre im Überblick (von Markus B. Christ)
Vielerorts wurde im Jahr 2017 das Jubiläum «500 Jahre Reformation» gefeiert, dies in Erinnerung an den Thesenanschlag Martin Luthers am 31. Oktober 1517. In unsrer Region waren damals schon Reformbemühungen in Kirche und Gesellschaft zu spüren, dies vor allem wegen drei wichtigen Geschehnissen, die einen Aufbruch markierten: Zum einen war es das Konzil in Basel (1431-1437, danach Fortsetzung bis 1449 in Ferrara und Florenz), zum andern wurde im Jahr 1460 die Universität Basel gegründet, und schliesslich war es die Einführung des Buchdrucks. In Basel wurden bei Johannes Froben alle bis 1520 erschienenen Schriften Martin Luthers gedruckt, 1523 erschien Luthers Neues Testament in der Basler Druckerei von Adam Petri, dem Nachfolger Frobens.
War bei Luthers Thesen vor allem der Ablasshandel ein Thema, so beschäftigten die Leute bei uns verschiedene kirchliche Vorschriften. Am 13. April 1522, Palmsonntag, also während der Fastenzeit, kam es zu einem Spanferkelschmaus im Klybeck- schlösschen in Basel. Den Bruch des Fastengebots begründeten die Teilnehmer mit der evangelischen Freiheit. Bei der Fronleichnamsprozession 1522 trug Wilhelm Reublin nicht die Reliquien, sondern eine Bibel. Er begründete dies mit den Worten: «Das ist das rechte Heiltun, das Andre sind Totenbeine.» Und 1523 war es Stephan Stör in Liestal, der durch die offizielle Verheiratung gegen das Gebot des Zölibats verstiess.
Nicht nur kirchliche Erneuerung verlangten die Einwohner auf der Landschaft, sondern auch soziale Reformen; zum einen ging es um die Zehntabgaben, die nicht mehr für den Klerus Verwendung finden sollten, sondern den Gemeinden und den Armen zugutekommen sollten, und zum andern um die seelsorgerliche Betreuung.
So kam es 1525 zu einem Bauernaufstand auf der Landschaft; die Untertanen verlangten die Predigt nach dem neuen Glauben, und das Farnsburger Amt wollte auch die freie Pfarrwahl. Als Folge des Bauernaufstandes erliess der Rat die sogenannten Freiheitsbriefe, die im materiellen Bereich den Forderungen gerecht wurden. Bei den reformatorischen Anliegen blieb allerdings alles beim Status quo. Nach dem Bau- ernaufstand und trotz den Freiheitsbriefen setzte sich die Reformation auf der Land- schaft nur schleppend fort. So drohte der Rat dem Priester von Kilchberg mit dessen Absetzung, wenn er nicht die Messe und das Halten der Jahrzeiten – beides hatte er abgeschafft – wieder einführe.
Seit 1522 wirkte in der Stadt Basel Johannes Oekolampad sehr segensreich, zunächst als Korrektor in einer Druckerei, dann als Lehrer der Universiät, als Pfarrer zu St. Martin und schliesslich als Pfarrer und Antistes (Pfarrer am Münster, Vorsitzender der Synode, Vertreter der Kirche nach aussen). Er sandte, nachdem er für die Landschaft eine Visitation angeordnet hatte, im Herbst 1528 einen Hirtenbrief an die reformgesinnten Pfarrer der Landschaft.
Ebenfalls im Jahr 1528 kam es auf der Landschaft zu Bilderstürmen in den Kirchen. Es waren im Gegensatz zu andern Orten nicht spontane Aktionen, sondern aufgrund von Gemeindeversammlungsbeschlüssen wurden die Bilder übertüncht oder zerstört, Hei- ligenstatuen entfernt und teilweise verbrannt, die Altäre geplündert. Immer deutlicher zeichnete sich die Wendung zur Reformation ab.
Und 1529 war es dann soweit: Am 9. Februar 1529 versammelten sich Tausende auf dem Basler Marktplatz vor dem Rathaus und verlangten vor allem die Absetzung der altgläubigen Ratsmitglieder. Der Rat, «übermeistert vom Volk», gab schliesslich nach. Damit war für Stadt und Landschaft Basel die Reformation Tatsache. Und bereits am 1. April 1529 wurde eine Reformationsordnung erlassen, die sowohl Kirchenordnung als auch Sittenmandat war.
Frauen 1524/2024
Reformation und Frauen - 1524 / 2024
Erleben Sie einen einmaligen, 50-minütigen Stadtrundgang durch Liestal. Entdecken Sie besondere Orte im Stedtli ganz neu und erfahren Sie mehr über die Reformation und ihre Folgen. Machen Sie sich – gemeinsam mit Freund:innen, ihrer Familie oder alleine – auf die Spur von klugen Nonnen & mutigen Pfarrerinnen, von aktiven Freiwilligen & der modernen Reformierten Kirche. Anhand der einzelnen Audiodateien und mit Hilfe des Stadtplanes können Sie die 6 Posten ganz individuell – zu jeder Tages- und Nachtzeit – besuchen.
Sprache 1523/2023
Reformation und Sprache - 1523 / 2023
Themenjahr 2023: «Sprache und Reformation»
Die Volkssprache hatte für die Reformations-Gestalten eine zentrale Bedeutung. In Basel beginnt Oekolampad mit seinen Jesaja-Vorlesungen, auch in deutscher Sprache. Während seines Aufenthalts auf der Wartburg übersetzt Luther in nur elf Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. Es erscheint 1522 als die sogenannte «Septemberbibel» im Druck. Philipp Melanchthon hatte die ganze Ausgabe noch einmal mit Luther durchgesehen, da er das Griechische besser beherrschte als Luther. Die Ausgabe, die in 3000 Exemplaren herausgekommen war, war innerhalb von drei Monaten ausverkauft, sodass im Dezember 1522 schon eine 2. Auflage erschien. Luthers deutsche Übersetzung des Neuen Testaments wird beim Verleger Adam Petri in Basel gedruckt, illustriert von Hans Holbein d. J. Viele Wörter des Lutherdeutschen, eigentlich die sächsisch-fränkische Kanzleisprache, sind für unsere Vorfahren unverständlich, und Adam Petri stellt dem Druck ein Glossar voran. «Dem Volk aufs Maul schauen» war Luthers Motto – Maul war damals der normale Ausdruck für Mund. Gemeint war: So reden und schreiben, dass dich jeder versteht. Und nicht – wie das Zitat heute oft missinterpretiert wird – dem Volk nach dem Mund reden, also die mehrheitlich vorherrschende Gesinnung übernehmen. Zürich hingegen ersetzt die fremden Wörter durch oberdeutsche Begriffe.
Markus B. Christ
Das Deutsch der Lutherbibel wurde in der Basler Kirche bald zur «Sonntagssprache». An eine Übersetzung in unsere Baselbieter Mundart wagte sich erst in den 1930er-Jahren der Bauerndichter Hans Gysin, genannt Metzger-Hans (1882–1969) aus Oltingen. Mit theologischer Hilfe der beiden Pfarrer Karl Sandreuter in Frenkendorf und Jacques Senn in Waldenburg übersetzte Gysin eine Auswahl der bekanntesten Texte aus dem Neuen Testament. Der «Bibelhilfsverein Baselland» (die heutige Bibelgesellschaft) veröffentlichte diese schliesslich unter dem Titel «Dr guet Bricht». Auf Weihnachten 1939 erschien ein Heftchen mit einer kleinen Auswahl von Texten, auf Ostern 1940 schliesslich das Buch.
Remigius Suter
Ordnung 1522/2022
Reformation und Ordnung - 1522 / 2022
Für das Jahr 2022 lautet der Titel: «ORDNUNG UND REFORMATION»1529 Basler Reformationsordnung
- 1529 Basler Reformationsordnung
- 1956 Baselbieter Kirchenordnung
- 2022 Neue Baselbieter Kirchenordnung
Wie hat sich Kirche und wie hat sich Ordnung verändert?
Gemeinsam ein Säuli essen – vor 500 Jahren Das Fastengebot, welches besagt, dass während der Passionszeit vom Aschermittwoch bis zum Karsamstag kein Fleisch gegessen werden dürfe, wurde auch im alten Basel hochgehalten. Natürlich kam es da und dort – oft zu heimlichen – Übertretungen dieses Gebots. In den Jahren, da sich eine Reform der Kirche und ihren Vorschriften anbahnte, kam es auch zu öffentlichen Übertretungen. So versammelten sich in Zürich beim Buchdrucker Froschauer evangelisch gesinnte Männer zu einem Wurstessen. Zwingli selber war ebenfalls anwesend, ass aber keine Wurst.
In Basel war das herausragende Ereignis am Palmsonntag, 13. April 1522, der Spanferkelschmaus im Klybeckschlösschen. Geladen waren Priester, Studenten und humanistisch gesinnte Laien. Die Geistlichen betonten dabei, sie hätten kein Gebot übertreten, sondern nur die einem Christenmenschen zustehende evangelische Freiheit in Anspruch genommen. Die Festteilnehmer betrachteten das Brechen des Fastengebots bewusst als eine Provokation, die gleichsam nach einer Stellungnahme rief. Erasmus von Rotterdam war der erste. Er äusserte sich sehr kritisch zur geltenden Fastenordnung. Gleichzeitig verurteilte er das Spanferkelessen am Palmsonntag als eine willkürliche Ausserkraftsetzung kirchlicher Vorschriften. Der Bischof von Basel, seit der Einsetzung eines Bürgermeisters im Jahr 1521 ohne Berechtigung, sich in politische Fragen einzumischen, machte von seinem geistlichen Weisungsrecht Gebrauch und warf den Geistlichen vor, die Ordnung der Kirche zu vernichten und daher Aufruhr zu wecken.
Abgehalten wurde dieses Mahl im Klybeckschlösschen. Die erste schriftliche Erwähnung als Weiherhaus fällt in das Jahr 1438. Eine herausragende Gestalt auf Schloss Klybeck war Simon von Aug, genannt Steinschneider. Er besass das Schloss ab 1513 und inszenierte als Freund reformierter Ideen zu Palmsonntag 1522 den besagten Spanferkelschmaus.
Neben dem reformiert gesonnenen Spitalgeistlichen nahmen auch der Kaplan von St.Martin, Bonifatz Wolfahrt, und der westfälische Humanist Hermann von dem Busche an dem Mahl teil. Wissenburg und Wolfahrt sorgten damals als Dozenten an der Universität Basel für Unruhe, weil sie energisch Reformen und einen Rektor nach ihrem Willen forderten. Die illustre Gesellschaft schuf den perfekten Skandal. Das Spanferkelessen warf dermassen hohe Wellen in Basel, dass der Gastgeber und Schlossherr vermutlich wegen des Aufsehens die Stadt Basel schon bald danach verliess und Klybeck verkaufte. Steinschneider fuhr allerdings fort die Ideen der Reformation zu verfechten. Er geriet bei einer Reise durch das Elsass in die Hände der katholischen Geistlichkeit. Angeklagt der Blasphemie wider die Sakramente und der Jungfrau Maria, wurde er am 22. Februar 1523 in Ensisheim gevierteilt und verbrannt.
Später war das Schlösschen (Klybeckstrasse 248) zwischen Wohnblöcken und Fabrikationsbauten der Chemie bereits zum Fremdkörper geworden, als man es im Jahr 1955 abriss. Nur die heutige Schlossgasse erinnert noch an das einstige Schlösschen Klybeck.
(Quellen: Carl Roth, Beitrag «Schloss Klybeck», publiziert im Basler Jahrbuch 1911, Basel, 1910, Seiten 137-156. Dort auch weitere Literaturangaben. Werner Meyer, Beitrag «Klybeck», Abschnitt "Basel-Stadt", publiziert in Burgen von A bis Z - Burgenlexikon der Regio, Basel, 1981. Rudolf Wackernagel, Abschnitt «Klybeck – Sisgau», in Kapitel 2 Territorium, publiziert in Geschichte der Stadt Basel, Band 3, Basel, 1924.)
Rückblick Fastenbrechen vom 13. April 2022 in Maisprach
Bildung 1521/2021
Reformation und Bildung - 1521 / 2021
Das Dodekadenjahr zum Reformationsjubiläum ist 2021 dem Thema Bildung gewidmet.
Ein Blick zurück… Volkssprache als Zugang zur Bibel Heute ist es selbstverständlich, die Bibel in der eigenen Muttersprache zu lesen. Bis zur Reformation ist das anders: Der Gottesdienst und die Schriftlesungen werden auf Latein abgehalten – alle Sprachunkundigen verstehen nichts. Den Reformatoren ist es ein zentrales Anliegen, allen Menschen die Bibel in ihrer Sprache zugänglich zu machen: Sie fertigen deswegen Bibelübersetzungen an. Neben der Lutherübersetzung entsteht zeitgleich die Zürcher Bibel. Den humanistisch gebildeten Reformatoren ist eine originalgetreue Wiedergabe des Textes wichtig. Deswegen übersetzen sie die Bibel nicht aus der Vulgata, der verbreiteten lateinischen Übertragung (Zeile 1 im Bild), sondern aus den biblischen Sprachen. Auf dem Bild ist Luthers Übersetzung des ersten Verses des griechischen Johannesevangeliums zu lesen (Zeile 2 und 3).
Mit der ersten evangelischen Predigt Wilhelm Röublis in der St. Albankirche beginnen 1521 in Basel die Wortgottesdienste und damit die reformatorische Bildung des Volkes. Die Menschen müssen lernen, was es heisst, «reformierter Christ» / «reformierte Christin» zu sein. Hierzu werden später Agenden, Bekenntnisse und Katechismen verfasst.
Und heute: Auch heute ist dies noch eine Herausforderung. Wir müssen für uns immer wieder neu – selber denkend – buchstabieren und reflektieren, was es heisst im 21. Jahrhundert «reformierter Christ» / «reformierte Christin» zu sein.
Das Themenjahr 2021 lud uns ein, dieser Frage nachzugehen… Die Digitalisierung durchdringt unseren Alltag. Die Corona-Krise hat der digitalen Bildung einen wichtigen Schub gegeben. So denken wir über digitale Bildung im Kontext der reformierten Kirchen ganz anders nach als noch vor einem Jahr. Ganz gemäss dem «semper reformanda» sind wir eingeladen, von den Vorteilen der digitalen Bildung Gebrauch zu machen und damit spannende Diskussionen zu führen, unsere «reformierten Herzensanliegen» in ganz neue Kontexte zu stellen und vielen Leuten zugänglich zu machen.