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aktuell
März 2017
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«Wenn wir als Kirche
schon arm sind, dann
sollten wir zumindest
sexy sein»
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Kirchgemeinden ausprobieren, ob eine an-
dere Finanzplanung möglich ist: Ein fixes
Budget auf zwei Jahre im Voraus einzuge-
ben, ist der Tod aller Innovation. Meine
Idee: Einen Teil des Budgets, zum Beispiel
15%, für spontane (1-3 Monate) Projekte
reservieren und allen Mitarbeitenden die
Kompetenz geben, diese zu machen. So
kann man schneller und modularer auf
Bedürfnisse eingehen.
Sie waren lange im Gemeindepfarramt
tätig. Vermissen Sie es?
Ich vermisse die Gemeinde, d.h. die
Menschen, mit denen ich einen Teil ihres
Lebenswegs gegangen bin. Als Gemein-
depfarrer verstand ich mich wie ein Haus-
arzt. Man begleitet das Leben und ist da,
wenn Krisen sind. Jetzt bin ich eher – um
im Bild zu bleiben – wie ein Spitalarzt, der
grundsätzlich forscht, einige Patienten hat
und manchmal Notfalleinsätze.
Was gefällt Ihnen am Pfarrersein und
besonders an Ihrer Arbeit?
Die geistliche Arbeit. Also geistlicher Weg-
begleiter (Hausarzt) sein aus der jüdisch-
christlichen Spiritualität heraus. Der Arzt
bietet ein Medikament gegen Schmerzen.
Ich biete als Seelsorger ein «Medikament»
gegen den «Tod»: Die Ewigkeit wahrzu-
nehmen, die uns umgibt, die entstanden
ist durch den Gott der jüdisch-christlichen
Tradition, durch die Auferstehung.
Aktuell gefällt mir die Breite der Themen,
an denen ich mit meinen drei Ausbildun-
gen in der OKE arbeiten darf: Journalist,
Betriebswirtschafter und Theologe. Sehr
bereichernd ist die Zusammenarbeit mit
meiner katholischen Kollegin und die
Weiterentwicklung der OKE mit unserem
interdisziplinären, multinationalen Team.
Spielt die Konfession in der OKE noch
eine Rolle?
Die Konfession ist wie die geistliche Mut-
tersprache, die jede/r von uns hat und in
der wir zuhause sind. Wir verstehen uns
als Ganzes post-konfessionell christlich,
in jedem Fall aber geistlich. Wir nehmen
aus allen Konfessionen Gutes und bringen
es in ein neues Gefäss. Wir leben das Ver-
bindende und beziehen uns dabei auf das
Altkirchliche und die jüdisch-christliche
Tradition.
Letztes Jahr haben Sie das Format
«Basel im Gespräch» lanciert. Aktuelle
Themen werden von Experten und dem
Publikum diskutiert. Was will das For-
mat? Sind Sie zufrieden mit der Reso-
nanz?
«Basel im Gespräch» bringt brisante The-
men wortwörtlich in die Mitte der Kirche.
Ziel ist es, Menschen, die etwas zu sagen
haben, miteinander ins Gespräch zubrin-
gen, statt sie arena-like gegeneinander zu
hetzen. Die Kirche muss werthaltige The-
men auf wertschöpfende Art zur Sprache
bringen. Menschen müssen gehört wer-
den, Jugendliche, Arme, Polizistinnen, Po-
litikerinnen, Wissenschaftler. Menschen,
die keine Stimme haben, erhalten eine
Stimme. Aber auch Menschen, die etwas
zu sagen haben und darum bekannt sind.
Bei uns reden Menschen, über die nor-
malerweise nur geredet wird, selbst. Das
steht einer Kirche gut an. Wir diskutieren
wichtige Themen auf hohem Niveau und
mit grosser Neugier. Manche Diskussio-
nen sind vollbesetzt und andere in kleinem
Kreis: Immer aber sind sie ein Gewinn.
Was liegt Ihnen am Herzen?
Die Leidenschaft für das Wesentliche. Das
Wesentliche ist das, was am Ende des Le-
bens zählt: Liebe, Beziehungen, Wunden,
die sich schliessen, Vergebung, Sanftheit,
Zärtlichkeit, Wahrnehmung der liebevol-
len Ewigkeit, um die Welt besser zu verlas-
sen, als ich sie angetroffen habe. Schönheit
– Schönheit kann die Welt erlösen. Wie
die alten Griechen schon sagten: Ethik
und Ästhetik gehen Hand in Hand. Das
haut man mir jetzt sicher um die Ohren.
Die Seele ist für mich ein Ort, wo wir frei
und unverletzt sind. Kirchenräume sollten
Seele für denMenschen in einemGebäude
spiegeln: Ein Schutzraum und ein attrakti-
ves Gegenbild zur glänzenden Kultur, die
uns umgibt.
Ab und zu streifen Sie das «Tenue grün»
über, denn Sie sind auch Armeeseelsor-
ger. Wie wichtig ist diese Aufgabe heute?
Sehr wichtig. Ich mache dann «offene Kir-
che in Uniform». Ich bin einem Infante-
rie- und einem Panzer-Batallion zugeteilt.
Diese Menschen sind dann für die Zeit des
WK «meine Gemeinde». Ich marschiere
mit, mache Stabsarbeit und Schiessübun-
gen. Wenn man das gleiche «Gwändli»
trägt, dann kommt man schneller ins
Gespräch mit den Menschen. Auf dem
Dienstweg sozusagen.
Ich habe in der Armee mit ganz unter-
schiedlichen Menschen und Themen zu
tun. Zum Beispiel habe ich mit einem
Offizier, dessen Vater Krebs hat, ein langes
Gespräch zu Palliative Care geführt, beim
Waffenputzen. Und mit einem muslimi-
schen Rekruten, weil er sich von anderen
komisch angeschaut fühlte, da er fünf Mal
am Tag betet. Ihm habe ich erklärt, dass
der Prophet für seine Situation nur zwei
Gebete vorschreibt: das, bevor er von zu-
hause weggeht und das, wenn er wieder
zuhause ist. Das wusste er nicht.
In der Armeeseelsorge geschieht – was
sonst abnimmt - Kirche im öffentlichen
Raum, die von Menschen nachgefragt
wird: Was könnte uns Besseres passieren?
Man sagt, die Kirche wird älter, ärmer
und kleiner. Trifft dies auch für die
OKE zu? Wie sehen Sie die Zukunft?
Die OKE hat letztes Jahr rund 50 neue
Freiwillige gewonnen durch unsere Flücht-
lingsprojekte. Die Zahl der Menschen, die
uns besuchen, ist hoch, rund 50’000 Men-
schen pro Jahr. Doch: Finanzen sind auch
bei uns ein Thema.
Lassen Sie mich’s so sagen: Wenn wir als
Kirche schon arm sind, dann sollten wir
zumindest sexy sein (nach demMotto von
Berlins ehemaligem Regierenden Bürger-
meister Wowereit für den Stadtstaat Ber-
lin: «Arm aber sexy»). Wir können das. Es
gibt viele tolle, begeisternde Menschen in
unserer Kirche, man muss sie nur einfach
mal machen und laufen lassen. Dabei geht
es gar nicht nur um die grossen Events.
Unser Event ist das Wort Gottes. Eine gute
Predigt von Menschen, die wirklich etwas
zu sagen haben, die etwas erlebt haben.
Deren Worte berühren, befreien und bele-
ben einen unmittelbar. Das ist das Erlebnis
guter, echter Spiritualität.
Und wir dürfen uns nicht scheuen, Marke-
ting zu machen. Zu zeigen, wo wir in der
multireligiösen Landschaft stehen, welche
Produkte wir haben, was uns auszeichnet.
Dazu gehören unsere Kultur, unsere Ge-
bäude und unsere Menschen. Und natür-
lich unser Gott.
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«Wir haben den
Anspruch an uns, einen
Platz für Gott freizu-
halten.»
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Offenen Kirche Elisabethen in Basel
1...,5,6,7,8,9,10,11,12,13,14 16
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